Arbeit Wirtschaft Energie

In der heutigen Landtagsdebatte zur Kindearmut in Sachsen-Anhalt erklärt die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle:

Kinderarmut ist Familienarmut. Und die Armut von Familien hängt an der Teilhabe der Eltern am Arbeitsmarkt – oder der Nicht-Teilhabe.

Deshalb sind eine starke Wirtschaft, eine robuste Konjunktur und eine entsprechende Nachfrage nach Arbeitskräften immer noch das wirksamste Mittel gegen Familienarmut. Doch wie wir alle wissen, ist die Wirtschaft Sachsen-Anhalts noch immer ein gutes Stück davon entfernt, zu der starken wirtschaftlichen Entwicklung aufzuschließen, die Deutschland insgesamt seit Jahren kennzeichnet.

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass der Ansatz von Minister Jörg Felgner, auf die Stärkung der eigenen Stärken zu setzen und die heimische, mittelständische Wirtschaft besonders zu fördern, der richtige Weg ist. Und wir können ja schon heute sehen – nicht zuletzt auch an der erfreulichen jüngsten Arbeitsmarktstatistik –, dass die Nachfrage aus der heimischen Wirtschaft nach Fachkräften und insbesondere nach Nachwuchs groß ist.

Allerdings: nach qualifiziertem Nachwuchs. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Kindern, die in Familien ohne intakte Erwerbsbiografie der Eltern und vielleicht auch ohne geregelten Alltag leben, dennoch die Anreize für eine gute schulische und berufliche Bildung geben. Wenn ein Kind im eigenen Elternhaus nicht erfährt, dass Anstrengung sich lohnt, dann haben Erzieher, Lehrer, Jugendämter umso mehr Verantwortung dafür.

Wir werden aber bei der weiteren Modernisierung unserer Wirtschaft auch darauf achten müssen, dass der Faktor Arbeit weiter im Mittelpunkt steht. Wenn „Arbeit 4.0“ bedeutet, dass in hochmodernen Fabriken nur noch höchstqualifizierte Arbeit nachgefragt wird, dann haben wir nichts erreicht. Wenn Digitalisierung und Produktivitätssteigerung im Ergebnis dazu führen, dass Menschen ohne akademische Qualifizierung von ihrer Arbeit nicht leben können – dann ist das keine Gesellschaft, wie wir sie wollen.

Gute Arbeit – und vor allem: ordentlich bezahlte Arbeit ist die Grundlage dafür, Armutsstrukturen zu überwinden. Der Mindestlohn hat dafür bereits eine Haltelinie nach unten eingezogen. Er wirkt besonders im Osten, und er wirkt besonders in Berufen, die immer noch als typische Frauentätigkeiten angesehen werden: bei Friseurinnen, Gebäudereinigerinnen und in der Gastronomie. Der Mindestlohn ist praktische Politik gegen Familienarmut.

Aber das reicht nicht. Der Kampf gegen Lohndumping und prekäre Beschäftigung, gegen Scheinselbständigkeit und nicht notwendige Leiharbeit sowie gegen Flucht aus der Tarifbindung muss weitergehen. Durch Unterbezahlung und mangelnde soziale Absicherung lauern hier große Armutsrisiken – trotz ständiger Überstunden.

Aus den Erfahrungen der letzten Jahre wissen wir: Wir haben in Deutschland zwar einen recht dynamischen Arbeitsmarkt und eine historisch hohe Erwerbsquote – gleichzeitig gibt es aber unter den Erwerbslosen eine große Gruppe von Menschen, die langzeitarbeitslos sind und bei denen sich dieser Zustand verhärtet. In Sachsen-Anhalt sind rund 45.000 Menschen langzeitarbeitslos. Die Ursachen sind im Wesentlichen das Lebensalter, geringe Schulbildung, fehlender Ausbildungsabschluss und natürlich häufig auch gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Deshalb ist es für den Kampf gegen Familien- und Kinderarmut so wichtig, dass sich die Koalition auf einen starken gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt verständigt hat. Wir wollen nicht, dass Kinder in eine scheinbar unabwendbare „Hartz-IV-Erbfolge“ hineingeboren werden. Wir wollen, dass ihre Eltern die Chance auf einen Ausstieg bekommen. Deshalb müssen Menschen, die dauerhaft nicht am ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind, eine Alternative haben, die Teilhabe an sinnvoller Beschäftigung und damit auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.

Zu Recht wurde in der aktuellen Berichterstattung zum Thema Kinderarmut auf die besonders hohen Anteile von Kindern in Bedarfsgemeinschaften in Magdeburg und vor allem in Halle hingewiesen. Auch wenn es kontinuierlich kleine Verbesserungen gibt, gilt nach dieser Definition weiterhin jedes dritte Kind in Halle als arm. In bestimmten Stadtteilen liegt der Anteil noch wesentlich höher.

Umso wichtiger ist es, den Familien in solchen Vierteln auch jenseits von Transferleistungen so viel Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen. Gleichzeitig bieten sich hier Möglichkeiten, um Langzeitarbeitslosen mehr Teilhabe zu ermöglichen.

Ein positives Beispiel ist das Projekt „Gesundes Frühstück“, dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer seit 2011 in Grundschulen Frühstück zubereiten, wobei die Mittel für das Essen selbst über Stiftungen finanziert werden. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf diesem Weg mit einem gesunden Frühstück versorgt werden, konnte seitdem von wenigen Hundert auf über Tausend ausgeweitet werden.

Es gibt neben den äußeren Bedingungen, die zu Armut führen, auch Gründe, die in der Familienstruktur liegen. Dabei sehen wir: Keine Gruppe ist so stark von Armut bedroht wie die Alleinerziehenden – und damit ihre Kinder. Mit dieser Situation dürfen wir uns nicht abfinden. Denn es darf eben nicht sein, dass Alleinerziehende Berufstätigkeiten unterhalb ihres Qualifikationsniveaus annehmen müssen, weil sie anspruchsvollere Jobs nicht mit ihrem Erziehungsauftrag in Übereinstimmung bringen können. Es darf nicht passieren, dass Alleinerziehende gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten, wenn sie das nicht wollen.

Das ist in erster Linie eine Anforderung an die Arbeitgeber. Denn mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, mit mehr Heimarbeitsanteilen können mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze für Alleinerziehende erschlossen werden – auch das ein Schutz vor Armutsrisiken.

Es geht aber auch um unsere eigene politische Verantwortung. Wir sehen nämlich an dieser Problematik, warum es so wichtig ist, dass wir nicht nur den Betreuungsanspruch über zehn Stunden in unseren Kitas erhalten, sondern dass auch das Angebot an flexiblen Öffnungszeiten deutlich ausgebaut und verbessert wird.

Wer Kinder vor Armut bewahren will, der muss alleinerziehenden Müttern und Vätern auch auf diese Weise die Chance geben, für sich und ihre Familie ein Einkommen zu erwirtschaften, von dem sie gut leben können.

Ein wichtiger Impuls ist auch die Initiative von Bundesministerin Manuela Schwesig, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zeitlich erheblich auszuweiten, nämlich bis zur Volljährigkeit der Kinder.

Ebenfalls ein hohes Armutsrisiko haben Kinder mit zwei oder mehr Geschwistern. Und auch das ist nichts, was Politik gleichgültig lassen sollte. Denn der Mut und die Bereitschaft, Kinder großzuziehen, auch über den Rahmen der klassischen Anderthalb-Kinder-Familie hinaus, sollte von Staat und Gesellschaft belohnt werden. Dazu haben viele die Gelegenheit: Ob Freizeiteinrichtungen, Kulturstätten, soziokulturelle Träger, Restaurants, Urlaubsveranstalter – sie alle haben die Möglichkeit, durch familienfreundliche Preis- und Tarifgestaltungen oder Rabatte das Leben größerer Familien zu erleichtern.

Es ist nicht möglich, dem Thema Kinderarmut in allen seinen Facetten, also den Gründen, den Ausprägungen und den Folgen gerecht zu werden – nicht im Rahmen einer solchen Debatte. Aber es ist nötig, sich immer wieder die Notwendigkeit vor Augen zu führen, aktiv zu werden.

Albert Einstein hat gesagt: „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“

Es bleibt also viel zu tun.